«Mehr Grundlagendaten für eine nachhaltige Wasserkraft»
Carte Blanche für Bettina Schaefli, Tobias Wechsler und Jan Seibert, im Namen der Schweizerischen Hydrologischen Kommission (CHy)
01.09.2022 – Um mehr Strom aus Wasserkraft zu produzieren, wird von verschiedenen Seiten gefordert, die Vorgaben zu den Restwassermengen zu lockern. Dies hätte jedoch negative Auswirkungen auf Gewässerökosysteme, das Grundwasser und die Wasserqualität im Allgemeinen. Deshalb sollten keine voreiligen Entscheide getroffen werden. Um tragfähige Lösungen zu finden, braucht es zügig bessere Daten zur Wassernutzung.
Der Beitrag gibt die persönliche Meinung der Autorin und der Autoren wieder und muss nicht mit der Haltung der SCNAT übereinstimmen.
Aufgrund der potenziellen Strommangellage werden Stimmen laut, die gesetzlichen Restwasserbestimmungen insbesondere unterhalb von Stauseen ausser Kraft zu setzen. Ziel dieser Forderung ist es, der Wasserkraft kurzfristig mehr Wasser zur Stromproduktion zur Verfügung zu stellen. Aus hydrologischer Sicht ist diese Forderung nicht vertretbar, weil damit die nachhaltige schweizerische Wasser- und Grundwasserwirtschaft bedroht wird.
Es ist unklar, wie viel Strom zusätzlich produziert werden könnte
Leider lässt sich aufgrund der aktuellen Datenlage die Anzahl der Wasserkraftwerke, die von Restwasserbestimmungen betroffen sind, nicht ermitteln. Wir wissen insbesondere nicht, wie viele Kraftwerke überhaupt Wasser aus- und umleiten. Es ist somit auch nicht möglich, die Produktionssteigerung durch Verzicht auf Restwasser zu quantifizieren. Abschätzungen im Zusammenhang mit Restwasserbestimmungen gehen nicht auf saisonale Produktionsaspekte ein und die Hochrechnungen dazu basieren auf nicht öffentlich zugänglichen Daten.
Zusätzlich zu beachten ist, dass viele Wasserkraftanlagen gar nicht von Restwassermengen betroffen sind und daher kein zusätzliches Winterproduktionspotential bieten. Dies hat vielfältige Gründe: i) Für Wasserentnahmen, die vor Eintreten des Gewässerschutzgesetzes (1992) bewilligt wurden, treten Restwasserbestimmungen erst bei Erneuerung der Konzession in Kraft. ii) Die grossen Stauseen werden von hochalpinen Gewässern gespeist, die im Winter kaum Wasser führen und deshalb von den Restwasserbestimmungen nicht betroffen sind (Art. 4, Abs. i, Art. 31, GschG). iii) Bei Laufkraftwerken tritt die Restwasserproblematik nur auf, wenn Wasser aus- oder umgeleitet wird. Gerade die grossen Rhein-Laufkraftwerke zwischen Bodensee und Basel turbinieren das Wasser direkt im Rhein, d.h. sie leiten kein Wasser um und sind also nicht von Restwasserbestimmungen betroffen.
Restwasser ist für Gesundheit von Gewässern essenziell
Die ökologische, hydrologische und ökomorphologische Funktion und Notwendigkeit von Restwasser steht ausser Frage: Genügend Wasser im Gewässernetz erhöht die Resilienz von Ökosystemen und sichert die Wasserqualität in Gewässern und in Grundwassersystemen, das z.B. auch als Trinkwasser genutzt wird. Dieser Zusammenhang von Restwasser und Grundwasser wird häufig übersehen: Die Neubildung von Grundwasser, aber auch dessen Temperatur, hängen entscheidend von der Infiltration von Oberflächenwasser ab.
Restwasser ist also grundsätzlich kein Luxus, sondern sichert eine nachhaltige Wasserwirtschaft entlang des gesamten Gewässernetzes der Schweiz und erfüllt damit wichtige Funktionen für die Gesellschaft. Deshalb sollte nur in speziellen Situationen eine zeitbefristete Verminderung von Restwasservorgaben möglich sein. Dies jedoch nur mit einer vorgängigen Abwägung der Vor- und Nachteile: Dazu sind aber Daten über die Gewässernutzung unverzichtbar. Differenzierte Lösungen für die Fliessgewässer sollten dabei möglich sein.
Zusätzliche Gewässernutzungsdaten würden helfen, tragfähige Lösungen zu finden
Der steigende Druck auf die Schweizer Gewässer durch den Klimawandel und die intensiven Nutzungen macht es aus unserer Sicht unabdingbar, dass fehlende Daten, die als Grundlage für Entscheidungen beim Wassermanagement benötigt werden, erhoben und öffentlich zugänglich gemacht werden. Gefragt sind insbesondere Daten zur Wassernutzung von Wasserkraftwerken, Kühlwasseranlagen, der Landwirtschaft und Abwasserreinigungsanlagen. Dazu gehören auch Echtzeitdaten zu Wasserentnahmen oder -rückgaben. So kann sichergestellt werden, dass bei kritischem Niedrigwasser die richtigen Entscheide getroffen werden. Nebst den zusätzlichen Daten muss auch die Zusammenarbeit zwischen privaten Akteuren, Bund, Kantonen und der Wissenschaft verbessert werden. Nur so lassen sich in Zukunft tragfähige Lösungen beim Gewässermanagement finden.
Ein Version dieses Textes mit Referenzen finden Sie hier: https://zenodo.org/record/7037468#.YxHvkhxBw2w
_
Bettina Schaefli ist ordentliche Professorin für Hydrologie an der Universität Bern und Präsidentin der Schweizerischen Hydrologischen Kommission (CHy).
Tobias Wechsler ist Doktorand im Bereich Klimawandel und Wassermanagement an der Universität Bern und an der WSL.
Jan Seibert ist ordentlicher Professor für Hydrologie an der Universität Zürich und Vizepräsident der Schweizerischen Hydrologischen Kommission (CHy).
_
Links
Schweizerische Hydrologische Kommission (CHy)
Carte blanche – scientists' point of view
- «Landschaftsbeobachtung Schweiz muss für die Praxis relevanter werden»
- «Der Unterricht in den Naturwissenschaften und die Ausbildung der Lehrpersonen müssen mit der Zeit gehen»
- «Die Wissenschaft sieht politischen Handlungsbedarf bei der Biodiversität»
- «Umbruch im Hochgebirge: Sicherheit muss vorgehen»
- "Artificial intelligence can boost economic growth in an unprecedented way, fuelling the environmental crises."
- «We need to show greater consideration for the subtle dynamics of power in nature conservation»
- «Mit den richtigen Metaphern die Menschen für die Biodiversität sensibilisieren»
- «Aufbau der ökologischen Infrastruktur kann die Trendwende bringen»
- "Appeals for decolonising North-South collaboration in research"
- “Embracing gender diversity is good for science”
- "Rethinking instead of removing wild animals: Why human-wildlife coexistence is a valuable exercise"
- «Das Märchen von den Kosten des Klimaschutzes schadet der Schweiz»
- «Für einen wirklich demokratischen Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen»
- «Hohe Lebensqualität geht auch ohne hohen Ressourcenverbrauch»
- Lebensraum für Insekten stärkt Bestäubung und landwirtschaftliche Produktion
- «Um den Klimawandel zu bekämpfen, müssen wir die Qualität des Bodens verbessern, auch in der Schweiz»
- «Ein konstruktiver Kompromiss: der Natur Raum geben und den Energieausbau ermöglichen»
- Women’s success in academic leadership can and should be robust, not fragile
- «Diese Technologie kann zu einer nachhaltigen Kernenergieversorgung beitragen»
- «Thorium weckt Hoffnung auf eine gelassenere Klimazukunft»
- «‹Energie sparen› dämpft Energiekrisen, schont das Klima und wird akzeptiert»
- «Der Schweizer Untergrund braucht eine Governance»
- «Mehr Grundlagendaten für eine nachhaltige Wasserkraft»
- «Schädigende Subventionen abbauen schont Umwelt und Finanzen»
- «Ernährungssicherheit erfordert eine umfassende Sichtweise»
- «Risiken von Pflanzenschutzmitteln schnell zu reduzieren ist alternativlos»
- «Mehr unabhängige Forschung zu klimaschonendem Tourismus»
- «Fliessgewässer brauchen klimaresistente Restwassermengen»
- «Technologien für netto null sind einsatzbereit und bezahlbar»
- «Mit Mist und Gülle gegen die Stromlücke»
- «Breite Gentechdebatte mit neuer Gelassenheit starten»
- «Schweiz droht Entwicklung grüner Technologie zu verschlafen»
- «Weniger Wirtschaft in der Regionalpolitik»
- «Das Gymnasium darf sich nicht verzetteln!»
- «Gleicher Ertrag mit halb soviel Pestizid: Das geht!»
- «Die Wirkungsmechanismen der Natur besser verstehen»
- «Geographie muss endlich Schwerpunktfach werden»
- «Konsumierende wollen keine Gentechnik» taugt als Mantra nicht
- «Klimaziele erreichen, ohne den CO₂-Ausstoss gross zu verringern»
- «Beim CO2-Gesetz steht auch die internationale Glaubwürdigkeit auf dem Spiel»
- «Zur Klimakrise sprechen wir weiterhin Klartext!»
- «Das neue CO₂-Gesetz ist besser als behauptet – genügt aber noch nicht»
Contact
Prof. Dr. Bettina Schaefli
University of Bern
Institute of Geography (GIUB)
Hallerstrasse 12
3012 Bern
Switzerland