Research breakthroughs and social impact - Young scientists debate synthetic biology
Zusammenfassung einer Podiumsdiskussion vom 16. Februar 2016
Die Synthetische Biologie liefert erste marktreife Produkte und wird auch in der Öffentlichkeit zunehmend wahrgenommen. Im Februar 2016 haben Nachwuchsforschende in einem interdisziplinären Podium über Hoffnungen, Ängste und Wertvorstellungen, die mit dieser neuen Technologie verbunden sind, diskutiert.
Unterschiedliche Risikowahrnehmung
Die Synthetische Biologie ist ein vielversprechender junger Forschungszweig an der Schnittstelle von Ingenieurswissenschaften und Biologie. Sie weckt Hoffnung auf neue Lösungsansätze für verschiedene gesellschaftliche Herausforderung, aber auch Bedenken bezüglich ihrer Sicherheit sowie ethischer und gesellschaftlicher Auswirkungen. Anfangs 2016 machte die Synthetische Biologie in Zusammenhang mit dem Zika-Virus und möglichen Bekämpfungsstrategien Schlagzeilen.
An einer vom Forum Genforschung organisierten Podiumsdiskussion am 16. Februar in Lausanne diente die Genom-Editierung in Mücken ebenfalls als ein Beispiel für die mit der Synthetischen Biologie verbundenen Hoffnungen und Ängste. Eine Podiumsteilnehmerin gab zu Bedenken, dass ein Rückgang der genetischen Vielfalt der Mücken – z.B. als Konsequenz davon, dass lokale Mückenpopulationen unfruchtbar gemacht wurden - das Ökosystem schädigen könnte, da Mücken ein wichtiger Teil der Nahrungsketten sind. Eine andere Teilnehmerin widersprach und führte an, dass die Zika-übertragenden Mückenarten (Aedes aegypti und A. albopictus) in Amerika invasive Arten sind, welche einheimische Arten verdrängt haben. Die zwei neuen Arten wurden durch den globalen Transport von Nahrungsmitteln eingeschleppt – eine Tatsache, „über die sich niemand Sorgen macht, weil dies die Weise ist, wie wir leben [...]; die Menschheit hat entschieden, auf diese Weise ihren Lebensstandard zu führen“. Giftige Chemikalien werden bereits grossflächig eingesetzt, um Mückenpopulationen zu bekämpfen. Für diese Teilnehmerin ist dies ein anschauliches Beispiel für unsere unterschiedliche Risikowahrnehmung: die mehrheitlich unbekannten Risiken neuer Technologien (hier die Genom-Editierung) werden systematisch als schwerwiegender eingeschätzt als die Risiken etablierter Technologien (die chemischen Produkte), deren negativen Auswirkungen bereits bekannt und sichtbar sind, während die Risiken traditioneller menschlicher Tätigkeiten (dem globalen Handel) kaum je in Betracht gezogen werden.
Grundeinstellungen gegenüber Technologien
Tatsächlich offenbarte die Diskussion entgegengesetzte Grundeinstellungen gegenüber Technologien – eine Beobachtung, die vom Rathenau Instituut bereits ausführlich beschrieben wurde. Einige Teilnehmende waren der Meinung, dass neue Technologien meist vorschnell als revolutionäre Lösung für komplexe Probleme angepriesen werden; dabei wird ignoriert, dass diese Probleme weit über technische Herausforderung hinausgehen und ganzheitliche Ansätze benötigen. In den Worten einer Podiumsteilnehmerin: „Synthetische Biologie führt den Weg der schnellen technischen Problembehebung („technological fixing“) fort – und wir haben genügend historische Nachweise, die aufzeigen, dass dieser Ansatz äusserst problematisch ist und einfach nicht funktioniert. Es ist eine Weiterführung der Idee, dass wir neue Technologien brauchen, um Probleme zu beheben, die eigentlich durch Vorgänger-Technologien geschaffen wurden.“
Hinzu kommt, dass sogar sogenannt erfolgreiche Technologien im Normalfall mit verborgenen Kosten verbunden sind, wie z.B. die ausbeuterischen und ökologisch katastrophalen Produktionsmethoden vieler Mobiltelefone. Meistens ersetzen neue Produkte zudem vorgängige Märkte und verändern so die Kräfteverhältnisse zwischen den verschiedenen Akteuren. So wurde beispielsweise das Malaria-Medikament Artemisinin bisher vor allem mit Hilfe traditioneller Methoden hergestellt, die häufig durch Mikrokredit-Programe gefördert wurden –ein Markt, der jetzt zumindest teilweise durch die Synthetische Biologie ersetzt werden soll.
Andere Teilnehmende zeigten ein grösseres Vertrauen in den technologischen Fortschritt, den sie vor allem als Chance ansehen, um Herausforderungen auf neue Art und Weise anzugehen. Sie betonten, dass Technologien völlig neue und bessere Produkte ermöglichen sowie teure oder anderweitig unvorteilhafte Produktionsmethoden ersetzen können – dies zum Vorteil von vielen. Zum Beispiel wird das Hormon Insulin heute in gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt und muss nicht länger aus Tieren gewonnen werden. Obwohl diese Teilnehmenden Technologien grundsätzlich positiv gegenüber stehen, machten sie auch deutlich, dass nicht jede Anwendung automatisch verfolgt werden sollte, sondern für jeden Fall Nutzen und Risiken abgewogen werden müssen. Die folgende Aussage verdeutlicht diesen Standpunkt: „Für die Synthetische Biologie fehlt uns im Moment der Rückblick um zu sehen, was funktioniert hat und was nicht, aber wir müssen vorwärts gehen und sehen, ob es gut geht. Wir sollten gewisse Pfade vermeiden, von denen wir wissen, dass sie gefährlich sind, aber wir müssen vorwärts machen.“
Wertneutrale oder wertgebundene Wissenschaft
Viele Podiumsteilnehmer vertraten die Meinung, dass eine Technologie oder Wissenschaft wie die Synthetische Biologie per se wertneutral ist; es sind die einzelnen Anwendungen, welche Fall für Fall beurteilt werden müssen. Parallel dazu wurde betont, dass ein grosser Teil der Forschung in der Synthetischen Biologie nicht auf die Entwicklung neuer Anwendungen abzielt, sondern vielmehr Wissen über biologische Vorgänge schaffen will. Dies ganz im Sinne von Richard Feynman’s berühmter Aussage „What I cannot create, I do not understand (Was ich nicht erschaffen kann, verstehe ich nicht).“
Andere waren hingegen der Ansicht, dass Wissenschaft nicht wertneutral sein kann. Forschung ist immer auch Teil eines sozioökonomischen Systems, finanziert durch öffentliche Gelder und privates Sponsoring. Fördert man eine Forschungsrichtung gegenüber einer anderen bevorzugt, wird eine Wahl getroffen, welche auf bestimmten sozioökonomischen Faktoren und Wertvorstellungen beruht; diese sollten zumindest offengelegt werden. Darüber hinaus sind es oft die Forschenden der Synthetischen Biologie selbst, welche ihre Forschung mit zukünftigen Anwendungen begründen. Es erscheint deshalb zwingend, in erster Linie den Zweck der Synthetischen Biologie zu hinterfragen und sie nicht einfach als eine Methode, um zu neuem Wissen zu gelangen, gelten zu lassen.
Lebende Organismen als biologische Maschinen
Viele der in der Diskussion um die Synthetische Biologie aufgegriffenen Themen sind mit allen neuen Technologien verknüpft. Ein Thema trat allerdings als spezifischer Element der Synthetischen Biologie hervor; in den Worten eines Podiumsteilnehmers: „Die Synthetische Biologie schafft eine neue Perspektive auf das, was wir als einen lebenden Organismus betrachten, weil wir nun das Bild von Mikroorganismen als Maschinen haben.“ Für einige Diskussionsteilnehmende trifft diese philosophische Frage nach dem Status des Lebens den Kern der Kontroverse um die Synthetische Biologie. „Das ist die grundlegende Frage. Es ist sehr brutal, denn Status des Lebens in eine Maschine zu verwandeln. [...] Das ist ein Krieg gegen die Autonomie des Lebens“. Für andere ist es durchaus möglich, einen lebende Organismus – und dabei auch unseren eigenen Körper – bereits heute als eine biologische Maschine anzusehen. Ein Konzept, das ihnen kein Unbehagen bereitet: „Würde es Sie stören, wenn Sie nichts weitere als eine biologische Maschine wären? Mich persönlich stört das nicht, ich funktioniere ja trotzdem.“
Lenkungsformen und Verantwortung
In der Diskussion wurde deutlich, dass sich die Kontroverse um die Synthetische Biologie nicht auf konkrete Nutzen und Gefahren fokussiert, sondern vor allem auf die damit verbundenen Wertvorstellungen. Dies wirft auch Fragen nach Lenkungsformen und Verantwortung auf, z.B.:
- Wie können wir als Gesellschaft entscheiden ob Synthetische Biologie gut oder schlecht ist?
- Wer ist für die Folgen verantwortlich?
Das iGEM Team der EPF Lausanne hat 2015 dazu eine kleine öffentliche Umfrage durchgeführt. Dabei fanden 49% der Befragten, die Forschenden selbst seien in erster Linie für die Forschungsethik verantwortlich, während 28% die Politik und weitere 22% die Öffentlichkeit vorwiegend in der Verantwortung sahen. Viele Podiumsteilnehmende teilten die Meinung, dass die Forschenden eine zentrale Rolle in der Forschungssteuerung spielen. Dazu die Aussage einer Podiumsteilnehmerin: „Ich denke, Wissenschaftler sind mehr oder weniger reflektierende Menschen [...] Sie sind nicht alle „verrückte Professoren“, die anderen zuvorkommen wollen und nur auf Patente und eigene Vorteile aus sind. Wenn einige Wissenschaftler in diese Richtung gehen, sollten ihre Kollegen sagen „Halt, wir überschreiten hier die Grenzen, ihr solltet dies nicht tun.“ Andere Stimmen widersprachen der Idee, dass die Forschenden die Hauptverantwortung für die Forschungssteuerung übernehmen sollten. „Ich habe das Gefühl, dass unsere Macht als Gesellschaft darin besteht, die Gesetzgebung zu beeinflussen und insbesondere bestimmte Personen in legislative Organe zu wählen; danach ist es deren Aufgabe, die Forschung zu regulieren.“
Die meisten Teilnehmenden unterstützten die Notwendigkeit von Regulierungen, betonten aber auch, dass die Gesetzgebung zur Synthetischen Biologie international sein müsse, um eine Wirkung zu erzielen. Es wurde auch das Bedenken geäussert, dass „die Geschwindigkeit der Entwicklung neuer Technologien immer viel höher ist als die Geschwindigkeit des Verstehens, der demokratischen Diskussion, der Entscheidungsfindung und der Regulierung.“ Dieses Bedenken fand auch ein Echo in folgender Aussage: „Wir sollten nicht vergessen, dass die Schweiz relativ klein ist. Ich höre von Kollegen am MIT, die 70 Millionen [Dollar] erhalten, um an bestimmten Dingen zu arbeiten. Dann denke ich: über was reden wir hier überhaupt? Die machen einfach vorwärts und tun Dinge. [...] Werden wir diese Leute jemals stoppen?“
Forschende und „die Öffentlichkeit“
Einige Podiumsteilnehmende äusserten grundsätzliche Kritik an der Fragestellung zu Lenkung und Veranwortung der Wissenschaft. Aus ihrer Sicht ist die Aufteilung in fixe Gruppen wie „Forschende“ und „die Öffentlichkeit“ willkürlich und zu stark vereinfachend und missachtet die wahre Komplexität der Landschaft der Akteurinnen und Akteure. So sind Forschende ebenfalls Bürgerinnen und Bürger und als solche auch Teil der Öffentlichkeit, während umgekehrt Wissen nicht nur durch akademische Forschung entsteht sondern auch durch die Arbeit anderer Institutionen wie Think-Tanks oder NGOs. Anstatt zu versuchen verschiedene Fachgruppen aufzustellen und in den Entscheidungsprozess einzubinden, „sollten wir diese Foren öffnen, und zwar nicht auf der Basis des Wissens, welche die verschiedenen mutmasslichen Experten einbringen, sondern auf der Basis der Werte [...]."
Schlussfolgerungen
Die vom Forum Genforschung organisierte Podiumsdiskussion war ein Versuch, verschiedene Perspektiven zur Synthetischen Biologie in der Schweiz zusammen zu bringen. Die lebhafte und lehrreiche Diskussion hat gezeigt, dass viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessiert und offen für einen solchen Austausch sind. Die Diskussion legte auch den Schluss nahe, dass die Kontroverse um die Synthetische Biologie sich nicht in erster Linie um spezifische Risiken und Möglichkeiten drehen wird, sondern um Fragen, welche die zugrundeliegenden Wertvorstellungen und Weltansichten betreffen. In den Worten von Claire Marris und Nikolas Rose, eine Soziologin und ein Soziologe, die sich seit vielen Jahren im Wissenschaftsdialog engagieren: „Die Wissenschaft ist kreativ, aufregend und zukunftsgerichtet und die meisten Forschenden der Synthetischen Biologen wollen – wie die meisten Menschen – „zu einem besseren Leben beitragen“. Aber dies bedeutet verschiedene Dinge für verschiedene Menschen [...].“
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Dieser Text gibt einen Überlick über eine Podiumsdiskussion, die vom Forum Genforschung der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz organisiert wurde. Während zwei Stunden diskutierten Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen – der Synthetischen Biologie, Biotechnologie, Ökologie, Sozialwissenschaften, Ethik, Philosophie und Ökonomie – unter Einbezug des Publikums. Weiter angeregt wurde die Diskussion durch eine Vorführung von Kurzfilmen, die sich mit der Synthetischen Biologie beschäftigen. Der Anlass fand am 16. Februar unter dem Titel „Research breakthroughs and social impact: young scientists debate synthetic biology“ am Life Sciences Switzerland Annual Meeting in Lausanne statt. Er wurde durchgeführt in Zusammenarbeit mit dem BIO•FICTION Science, Art & Film Festival und Life Sciences Switzerland (LS2). Die hier publizierte Zusammenfassung spiegelt die Sicht der Organisatoren wider. Da die Diskussion auf Englisch stattfand, mussten die Aussagen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Übersetzung teilweise leicht angepasst werden. Den Originaltext mit den Originalzitaten in Englisch finden Sie auf der englischsprachigen Version dieser Seite.